DIE 9 GROSSEN MYTHEN DER MEERWASSERAQUARISTIK
Die Entscheidung ist gefallen: Du möchtest Dir ein Meerwasseraquarium zulegen. Super! Jetzt beginnt die Zeit, in der Du das Internet, Foren und die sozialen Medien nach Informationen und Erfahrungsberichten durchkämmst. Was brauchst Du wirklich an Technik? Welche Ansprüche haben Steinkorallen? Wie viel Licht brauchen meine Weichkorallen? Schnell kommen da viele Fragen zusammen und dank des Internets bekommst Du zahlreiche Antworten. Aber Vorsicht – leider schwirren immer noch viele Mythen umher, die sich hartnäckig halten.
Wir haben in diesem Artikel neun große Mythen der Meerwasseraquaristik für Dich zusammengefasst und klären auf:
#1 Ein Meerwasseraquarium ist teuer
In der Tat, ein Meerwasseraquarium kann ein sehr kostenintensives Hobby sein. Jetzt aber die positive Nachricht: Du hast Gestaltungsspielraum und brauchst nicht zwangsläufig Unsummen für Dein Becken ausgeben. Auch mit einem kleineren Geldbeutel kannst Du Dir bereits ein wunderschönes Riffaquarium aufbauen.
Du wirst vermutlich schnell feststellen, dass es am Markt unglaublich viel Technik und Zubehör von verschiedensten Herstellern gibt. Bevor Du jedoch zuschlägst, hier unser Tipp: Mach Dir vorher einen Plan, was Du genau von Deinem Aquarium erwartest. Stelle Dir verschiedene Fragen, wie z.B.: „Muss die Technik super leise sein?“ oder „Welche Tiere möchte ich halten und brauchen sie ein besonders großes Becken?“ oder „Möchte ich wirklich anspruchsvolle farbenfrohe Acropora-Korallen pflegen und dafür eine hochwertige (und meist teurere) Beleuchtung einsetzen?“. Diese Fragen helfen Dir dabei Kosten und Nutzen angemessen abzuwägen.
Ein weiterer Tipp von uns ist, Second Hand zu kaufen. In Social-Media Gruppen oder auf verschiedenen Plattformen findest Du oft günstige Angebote. Abschäumer und Pumpen kannst Du sehr gut gebraucht kaufen; Vorsicht aber bei benutzten Glasaquarien, Beleuchtungstechnik und Heizstäben – hier genau hinschauen oder neu kaufen!
Wenn Du die nötige Technik erstmal besitzt, kommt jetzt die nächste gute Nachricht: Dein Riff kann und darf stückweise aufgebaut werden. Deko, Fische, Korallen – all das brauchst Du nicht alles auf einmal zu kaufen. Besetze das Becken nach und nach und strecke so die Kosten über mehrere Monate.
Ein letzter Spar-Tipp: Es müssen nicht immer seltene Steinkorallen sein – besetze Dein Becken stattdessen mit Weichkorallen und nur wenigen (oder auch keinen) Fischen – das minimiert neben dem Bedarf einiger Verbrauchsmaterialien (z.B. Balling-Salzen) auch den Pflegeaufwand und sieht trotzdem wunderschön aus.
Wie teuer Dein Meerwasseraquarium am Ende wird, hängt ganz von Deinen Einrichtungs- und Bewohnerwünschen ab.
#2 Für Einsteiger sind Nano-Aquarien besser geeignet als große Aquarien
In den letzten Jahren werden kleinere Meerwasseraquarien oder sogenannte Nano-Aquarien immer beliebter. Einsteiger interessieren sich mehr und mehr für sie und erhoffen sich durch die Pflege eines kleineren Aquariums einen geringeren Pflegeaufwand. Aber bedeutet ein kleineres Becken tatsächlich immer weniger Arbeit?
Leider trifft das oftmals nicht zu und sogar das Gegenteil ist der Fall. Ein kleines Becken benötigt ebenso viele Wasserwechsel und Pflege, wie ein großes Aquarium. Es ist oft sogar schwieriger wichtige Parameter (wie z.B. Karbonathärte, Calcium usw.) in diesen kleinen Systemen zu stabilisieren. Wasserparameter können sich aufgrund des geringeren Volumens schneller ändern und Probleme bereiten. Ein größeres Wasservolumen verschafft Dir mehr Zeit mögliche Probleme zu erkennen und zu behandeln.
Wir möchten Dir keineswegs von Nano-Aquarien abraten. Bedenke nur, dass die Pflege nicht unbedingt einfacher ist.
#3 Je mehr Licht, desto besser
Korallen, die in den flachen Bereichen des Riffs nahe der Wasseroberfläche wachsen, bekommen dort extrem viel Licht ab. Deshalb erscheint es logisch, dass die Korallen in Deinem Aquarium ebenso viel Licht benötigen. Aber stimmt das?
Jein. Dieser Mythos stimmt nur zur Hälfte. Natürlich brauchen Korallen Licht für Wachstum, Farbausbildung und Photosynthese. Zu viel Licht aber kann diese Prozesse hemmen und zu sogenanntem „Lichtstress“ führen. Das liegt hauptsächlich an den Zooxanthellen – den kleinen einzelligen Algen, die im Gewebe der Koralle eingelagert sind. Diese Mikroalgen leben mit der Koralle in einer Symbiose und versorgen sie unter anderem mit Energie. Bekommen die Zooxanthellen jedoch zu viel Licht ab, beispielsweise durch eine zu starke Beleuchtung, kommt es schnell zur Sättigung der Photosysteme und die überschüssige Energie führt zur Bildung und Freisetzung von Sauerstoff-Radikalen. Dabei handelt es sich um sauerstoffenthaltende Moleküle, die zu Zellschäden führen können. Dieses Phänomen wird auch „oxidativer Stress“ genannt oder von Aquarianern einfach nur als „verbrennen“ betitelt.
Um oxidativen Stress von vornherein zu verhindern bzw. so gering wie möglich zu halten, bilden viele Korallen bei hohen Beleuchtungsintensitäten vermehrt Schutzpigmente aus, die das Licht absorbieren bzw. reflektieren sollen. In der Folge bleibt den Korallen jedoch weniger Energie für Wachstum und andere physiologische Prozesse. Besonders farbenfrohe Korallen sind daher nicht immer auch die glücklichsten und gesündesten Korallen.
In der Natur sind Korallen übrigens selbst in 100 m Tiefe noch anzutreffen. Der Lichtmangel kann hier bspw. durch den Fang und die Aufnahme von Plankton und Detritus sehr gut kompensiert werden. Auch wenn der Lichtbedarf artspezifisch ist, können sich Korallen den Lichtbedingungen (innerhalb eines bestimmten Bereiches) anpassen.
Informiere Dich deshalb vorab über die Lichtansprüche Deiner Korallen. So kannst Du entweder Deine Beleuchtung auf die von Dir gepflegten Korallen abstimmen oder aber die Korallen entsprechend Ihrer Ansprüche in Deinem Aquarium platzieren.
#4 Steinkorallen brauchen mehr Licht als Weichkorallen
Da wir gerade beim Thema Licht sind, kommen wir gleich zum nächsten Mythos: Steinkorallen brauchen mehr Licht als Weichkorallen.
Kurz gesagt: dafür gibt es keine wissenschaftlichen Belege. In natürlichen Korallenriffen wachsen nahe der Oberfläche (also in Bereichen mit viel Licht) gleichermaßen Weich- und Steinkorallen. Taucht man tiefer, sieht man dasselbe Phänomen. Selbst verschiedene wissenschaftliche Experimente konnten diesen Mythos nicht belegen.
Weichkorallen stehen in Sachen Lichtbedarf den Steinkorallen in nichts nach.
#5 Blaues Licht ist besser für Korallen
Viele Meerwasseraquarianer lieben Blaulicht durchflutete Becken in denen die Fluoreszenz der Korallen in grellen Farben erstrahlt. Obwohl diese Art der Beleuchtung ohne Frage einiges für das Auge bietet, so entspricht sie nicht automatisch den Gegebenheiten im natürlichen Lebensraum.
Im Meer dringen im Bereich von 0 – 5 m noch fast alle Lichtfarben durch. Erst mit größerer Tiefe werden zunehmend die roten, orangen und gelben Farbanteile des Lichtes absorbiert und das Lichtspektrum in den blauen Bereich verschoben.
Willst Du Dein Aquarium „blaulastig“ beleuchten, so solltest Du beachten, dass blaues Licht deutlich energiereicher und entsprechend intensiver für Deine Korallen ist. Um Lichtstress zu vermeiden, solltest Du sie deshalb ausreichend mit Nährstoffen und Spurenelementen versorgen. Grundsätzlich provoziert blaues Licht die Produktion von Schutzpigmenten und lässt Deine Korallen unter Blaulicht farbiger erscheinen. Das natürliche bzw. oberflächennahe Lichtspektrum weist dagegen höhere Rot- und Grünanteile auf. Diese sind u.a. wichtig für den korrekten Ablauf der Photosyntheseprozesse in den Zooxanthellen und deshalb letztendlich für die Energieversorgung Deiner Korallen. Bei der ausschließlichen Beleuchtung mit Blaulicht, kann eine zusätzliche Versorgung der Korallen mit partikulärem Futter (Plankton, Frostfutter, Staubfutter etc.) dabei helfen, möglicherweise auftretende Energiedefizite auszugleichen.
Wie Du Dein Aquarium letztendlich beleuchtest ist am Ende vor allem eine Frage des persönlichen Geschmacks: bist Du eher Fan des natürlichen „Riffdach-Looks“ oder bevorzugst Du den Anblick stark fluoreszierender Korallen? Ganz auf rote und grüne Anteile in Deiner Beleuchtung solltest Du aber auch beim „Blaulicht-Look“ nicht verzichten. Ideal ist eine Kombination aus Tageslicht- und Blaulichtphase im Tagesverlauf.
Blaulicht lässt Deine Korallen zwar erstrahlen, aber ganz weglassen solltest Du rote und grüne Anteile beim Licht nicht.
#6 Je mehr Strömung, desto besser
Ja, Strömung ist ein nicht zu vernachlässigender Faktor in der Korallenpflege. Sie ist wichtig für den Gasaustausch, verhindert Sedimentablagerungen, versorgt Deine Korallen mit ausreichend partikulären und gelösten Stoffen und wirkt sich positiv auf das Korallenwachstum aus.
ABER: übertreibe es nicht! Keine Koralle wird es mögen unmittelbar vor einer Strömungspumpe platziert zu werden. Die Folge können Polypen- oder sogar Gewebeschädigungen sein. Während einige Korallen eine durchaus kräftige Strömung vertragen (z.B. Sarcophyton, Stylophora & Co), gedeihen andere am besten bei sehr schwacher Strömung (z.B. Plerogyra, Discosoma & Co). Vor allem innerhalb der Weichkorallen, der Scheiben- und Krustenanemonen sowie der großpolypigen Steinkorallen (LPS) finden sich zahlreiche Strömungsmuffel.
#7 Die Zugabe von Spurenelementen ist unbedingt notwendig für gesunde und farbenfrohe Korallen
Spurenelementlösungen gibt es mittlerweile auf dem Markt wie Sand am Meer. Ob einzelne Spurenelemente oder Kombi-Lösungen – Du wirst bei Deiner Recherche mit Sicherheit fündig.
Spurenelemente können durchaus hilfreich sein und ihre Wirksamkeit in biologischen Systemen ist wissenschaftlich belegt, allerdings ist die zusätzliche Zugabe nicht immer zwingend notwendig. Oft reichen nämlich schon die durch regelmäßige Wasserwechsel, die Fütterung sowie die Kalkversorgung eingebrachten Spurenelemente aus, um die Werte in Deinem System auf einem natürlichen Level zu halten. In Abhängigkeit vom Besatz und/oder der Besatzdichte kann es bei einer zusätzlichen Spurenelement-Zugabe auch schnell zu einer Überdosierung kommen. Spurenelement-Lösungen sollten deshalb stets vorsichtig und bedacht verwendet werden. Gerade zu Beginn, wenn Dein Aquarium noch nicht allzu dicht mit Korallen besetzt ist, macht es oftmals keinen Sinn Spurenelemente zu dosieren – dies führt schnell zu unerwünschtem Algenwachstum oder dem massenhaften Auftreten von Cyanobakterien. Sollten Deine Korallen allerdings Mangelerscheinungen oder Wachstumsstörungen zeigen, so könnte eine Spurenelement-Zugabe Abhilfe schaffen. Um auf Nummer sicher zu gehen und eine mögliche Überdosierung zu vermeiden bzw. zu überprüfen ob tatsächlich eine Mangelsituation vorliegt, solltest Du vor der Dosierung von Spurenelementen immer deren Konzentrationen in einem Labor ermitteln lassen. Die hierfür verwendete Messmethode heißt ICP (Induktiv Gekoppeltes Plasma) und wird mittlerweile von mehreren Laboren speziell für die Riffaquaristik angeboten.
#8 Form und Farbe sind gute Kriterien um Korallen zu bestimmen
Leider nein, denn Form und Farbe einer Kolonie können sich in Abhängigkeit von den Umweltbedingungen verändern. So bilden Korallen die bspw. starker Strömung ausgesetzt sind dickere Äste und weisen generell eine gedrungenere Wuchsform auf. Selbst die Skelettstrukturen innerhalb einer Kolonie können je nach Position/Exposition variieren. Wie die Wuchsform, so kann auch die Färbung der Korallen je nach Beleuchtungsintensität und –Spektrum sowie der Verfügbarkeit von Nährstoffen und Spurenelementen stark variieren. Außerdem gibt es innerhalb einer Art i.d.R. immer mehrere Farbmorphen, was vor allem auf die genetische Ausstattung des jeweiligen Individuums zurückzuführen ist.
Das alles macht die Artbestimmung bei Korallen nicht gerade einfach. Für eine sichere Bestimmung benötigt man neben der Skelettstruktur auch genetische sowie biogeographische Informationen der zu bestimmenden Korallen.
Die Art-Bestimmung von Korallen ist alles andere als einfach.
#9 Ein Riffaquarium ohne Abschäumer funktioniert nicht
Um es gleich vorweg zu nehmen: Nein, ein Abschäumer ist nicht zwingend notwendig! Aber er vereinfacht vieles. Die meisten Meerwasseraquarien werden heute zwar mit einem Abschäumer betrieben, aber es gibt durchaus Alternativen um Nährstoffe, unerwünschte Verbindungen, Rückstände und Abbauprodukte aus dem Aquarienwasser zu entfernen bzw. deren Entstehung von vorneherein zu verhindern.
Eine gute mechanische Filterung (Filterwatte, Filtersocken oder Vliesfilter) entfernt bereits einiges an partikulärem Material und verhindert dessen Abbau im Aquarium. Der Einsatz von Aktivkohle kann dabei helfen dem Aquarienwasser unerwünschte Verbindungen, wie z.B. Gelbstoffe, Nesselgifte, Toxine etc., zu entziehen. Selbiges kann mithilfe regelmäßiger Wasserwechsel (wöchentlich zw. 5 – 10 %) erreicht werden.
Auch biologische Methoden zur Wasseraufbereitung können teilweise die Aufgaben eines Abschäumers übernehmen. Hierzu zählen beispielweise das so genannte DSB (Deep Sand Bed) oder ein Algenrefugium.
Ein DSB ist im Grunde nur ein sehr hoher Bodengrund (mind. 10 cm), der aus feinem Aragonitsand besteht. Durch die Höhe entstehen Bereiche ohne Sauerstoff, in denen sich anaerobe Bakterien ansiedeln können, die dort Nitrat abbauen.
Im Falle eines Algenrefugiums werden gezielt Makroalgen in das Aquariensystem eingebracht. Meistens in einem separaten Abteil im Technikbecken. Durch das Wachstum der Algen werden Stickstoff und Phosphor in Biomasse gebunden und können durch regelmäßiges Abernten der Algen aus dem System entfernt werden.
Im Vergleich zu einem Abschäumer kann die Effektivität dieser biologischen Methoden nur schwer gesteuert und erfasst werden.
Wir empfehlen grundsätzlich die Nutzung eines Abschäumers, da er i.d.R. keine negativen Effekte auf Dein Aquarium hat (Ausnahme: Nährstoffmangel). Insbesondere wenn Du Fische pflegst, sorgt der Abschäumer für eine ausreichende Versorgung mit lebenswichtigem Sauerstoff.
Und hiermit sind wir auch schon am Ende angekommen. Wir hoffen, dass Dir dieser Beitrag ein wenig weitergeholfen hat! Wenn Du Fragen hast, kannst Du uns natürlich jederzeit kontaktieren. Happy Reefing!